Der Begriff Atem beschreibt eine ganzheitliche Erfahrung, also eine auf körperlicher, psychischer und geistiger Ebene:
Wenn wir Sport betreiben, wird unsere Atmung schneller, wenn wir uns erschrecken, stockt sie, und was wir denken, kann ebenso unsere Art zu atmen verändern.
Und dies spiegelt sich dann in unserer Körperhaltung und Stimme wider.
Nur durch Zufall bin ich auf dieses Thema gestoßen, durch das Angebot eines AMS-Seminars, gehalten von Norbert Faller, Lehrgangsleiter zur „Atempädagogik“ an der FH Gesundheit Tirol.
Wir alle, die wir dort saßen, fragten uns, wie wir einen ganzen Tag lang auf einem Gymnastikhocker aushalten sollten, hatten wir doch fast alle im Rücken/Nackenbereich Beschwerden. Aber es ging - sogar sehr gut. Denn durch die Bewegungsangebote im Rahmen des Seminars fiel das aufrechte Sitzen und Stehen auf einmal ganz leicht.
Ich war so begeistert von diesen einfachen Körperübungen, die das Atmen erleichterten und auch gleich auf die Psyche und den Geist wirkten, dass ich weitere Seminare bei Herrn Faller besuchte und mich jetzt auch zu einer seiner Student_innen zählen darf. Hier lerne ich meinen eigenen Atem kennen und auch andere Menschen anzuleiten ihren Atem zu beobachten - nicht als eine zu erlernenden Atemtechnik/-methode, sondern als Arbeitsweise nach Ilse Middendorf, die uns darin unterstützt, unseren individuellen Atem erfahrbar zu machen, zu spüren und Veränderungen eben nicht willentlich hervorzurufen, sondern geschehen zu lassen.
Atmung ist zwar teilweise willentlich steuerbar, grundsätzlich aber ein autonomer Prozess. Das Atemgeschehen ist von vielen Faktoren abhängig und in Summe zu komplex, um es dauerhaft willentlich steuern zu können. Woran gearbeitet werden kann, ist den eigenen Atem zu erforschen und mit bestimmten Übungen dazu beizutragen, dass er flexibel bleibt/wird. Dies gelingt durch Nervenverbindungen im Körper, die beispielsweise bei einer Dehnung von Muskulatur zum Einatmen anregen.
So stellt das Gähnen eine gute Vorbereitung für das Sprechen oder Singen dar, da es eine Dehnung des Rachens ermöglicht, die sich über den Kehlkopf fortsetzt und sogar das Zwerchfell aktiviert.
Das Zwerchfell formt ein Dach für Leber, Magen, Milz und Nieren sowie den Boden für Herz und Lungen. In der Einatmung zieht es sich zusammen und seine Kuppel senkt sich nach unten in den Bauchraum. Diese Zwerchfellbewegung stimuliert viele Körpervorgänge. Durch seine Auf-und Abbewegungen werden das Herz und die Bauchorgane „massiert“ und dadurch die Verdauung angeregt. Mit Atem-, Laut- und Sprechübungen kann die Spannkraft und Lösungsfähigkeit des Zwerchfells beeinflusst werden.
Da die oberen und unteren Atemwege (Nase, Mund, Rachen, Kehlkopf, Luftröhre, Bronchien und Lungen) eine wesentliche Rolle in der Immunabwehr spielen und mit dem Lymphsystem verbunden sind, vermag eine optimale Atmung auch eine Entlastung des Lymph-und Blut-Kreislaufs zu bewirken und ist für einen ausgewogenen Säure-Base Haushalt essentiell.
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Die Atmung wird durch die Beweglichkeit der Wirbelsäule, vor allem die Beweglichkeit des Brustkorbs, mitbestimmt.
Bei Fehlhaltungen, Erkrankungen der Atemwege, bei Übergewicht und im Alter wird das Atmen anstrengend.
Wenn unsere Haltemuskulatur wohlgespannt ist (also eine wohldosierte Grundspannung im Körper vorhanden ist), können sich die Muskeln je nach Anforderung anspannen und lösen sowie der Atembewegung dreidimensional Raum geben (nach vorne und in den Rücken, nach unten und oben sowie seitlich in die Flanken hinein).
So wäre das Atmen ökonomisch(er) und effektiv(er), idealerweise mühelos leicht.
Durch einfache Übungen kann unser Körper darin unterstützt werden, diese notwendige ausgeglichene Muskelspannung (wieder-)herzustellen, was gerade bei viel Büroarbeit sehr wichtig ist. Unweigerlich wirken diese Übungen auch auf Geist und Psyche, den Kontakt zu sich selbst und dadurch auch zu Anderen, was für Berater_innen von Nutzen sein kann, um auch psychisch in der Balance zu bleiben bzw. wieder in Balance zu kommen. Eine Beschreibung dieser Übungen findet sich auf der Homepage von Herrn Faller – probiert einfach welche aus!
In verschiedenen Regionen auf der Erde wird der Atem als Lebensenergie und Lebenskraft definiert. „Unsere Aufgabe ist es“, so Norbert Faller, „dieses Geschenk anzunehmen, sorgsam damit umzugehen, es zu pflegen und kreativ zu nutzen.
Unter diesen Bedingungen kann unser Atem ein Leben lang eine unerschöpfliche Energie- und Kraftquelle sein.“[1]
[1] Norbert Faller (2019): Atem und Bewegung. Theorie und 111 Übungen, S. 5